Sara Nuru - Unternehmerin, Autorin, Model - über ihren Einsatz für Frauen und ihren Weg zu ihrem Herzensprojekt
Shownotes
Sara Nuru gewinnt 2009 als erste schwarze Frau die Castingshow „Germany’s Next Topmodel“. Doch nach Jahren im internationalen Modelbusiness verschiebt sich ihr Fokus: Sie gründet mit ihrer Schwester Sali das Sozialunternehmen nuruCoffee und den Verein nuruWomen e.V., der Frauen in Äthiopien mit Mikrokrediten unterstützt. Sie setzt sich außerdem in den sozialen Medien für Aufklärung zum Thema Weibliche Genitalbeschneidung (Female genital mutilation/FGM) ein.
Im Podcast erzählt Sara von ihren Wurzeln, ihrer Familie und dem Weg ihrer Eltern von Äthiopien nach Bayern. Sie berichtet über ihre Arbeit für Frauen in Äthiopien, die deren gesellschaftliche Rolle stärkt. Zusammen mit Lena Prieger spricht Sara über Ursachen und Folgen von FGM und darüber, wie Hilfe möglich ist – auch in Bayern und Deutschland.
Hört rein und lasst euch inspirieren von diesem offenen Gespräch mit Sara Nuru!
Triggerwarnung: In dieser Folge sprechen wir explizit über Gewalt gegen Frauen, insbesondere weibliche Genitalverstümmelung. Wer sich damit nicht wohlfühlt, sollte die entsprechenden Stellen überspringen oder eine andere Folge unseres Podcasts hören.
Themen der Folge:
- Saras Kindheit und Familie: Aufwachsen als Tochter äthiopischer Eltern in Erding und München
- Die Bedeutung von Heimat, Gemeinschaft und Zugehörigkeit
- Von Germany’s Next Topmodel zum eigenen Sozialunternehmen: Warum Sara Nuru ihr Leben neu ausrichtet
- NuruCoffee & nuruWomen e.V.: Wirtschaftliche Selbstständigkeit für Frauen in Äthiopien durch Mikrokredite
- Frauen stärken – Gesellschaft stärken: Wie Mikrokredite Leben und Rollenbilder verändern
- Weibliche Genitalbeschneidung: Zahlen, Fakten, Mythen – und Hilfe in Bayern und Deutschland
- Wie Sara Nuru und das Bayerische Sozialministerium gemeinsam für Prävention und Unterstützung arbeiten
- Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Sinnsuche, Muttersein und Unternehmertum
Zitate aus der Folge
„Plötzlich ist die Frau auch gleichwertig, weil sie ihr eigenes Geld verdient. Dem Mann auch gegebenenfalls die Stirn bieten kann, weil sie jederzeit auch gehen kann, weil sie nicht abhängig ist und auch keine Gewalt ertragen muss.“
„Und ich glaube, hätte ich diese Reise und diese Erfahrung nicht gemacht, so zeitgleich, hätte ich das alles gar nie hinterfragt, sondern hätte das einfach mitgemacht und gelebt und so hingenommen. Und jetzt im Nachhinein ist es das Beste, was mir passieren konnte.“
„Aber ja, es ist schon eine Zerreißprobe und nicht einfach. Aber dadurch, dass wir zum Glück etwas Sinnstiftendes tun dürfen, machen wir es mit so viel Herzblut. Und auch, wenn es anstrengend ist und wir wenig Schlaf haben und viel Kopfzerbrechen, freuen wir uns doch jeden Tag, dass wir das machen dürfen. Und wissen ganz genau, warum wir was tun.“
Links & Hilfsangebote
• Beratungs- und Präventionsnetzwerk Bayern: Hilfe & Beratung für Betroffene und bedrohte Mädchen/Frauen
• Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ – 116 016
• Schutzbrief gegen weibliche Genitalverstümmelung: Informationen in Deutsch und vielen weiteren Sprachen
• Hilfsfonds für betroffene Frauen
• Nuru Coffee: Das Sozialunternehmen von Sara Nuru
• nuruWomen e.V.: Mikrokredite & Frauenförderung in Äthiopien
Produktion „Bayern gemeinsam stark“ – Der Podcast mit Menschen, die uns inspirieren. Eine Produktion des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales.
Du kennst jemanden, der Gewalt erfährt oder davon bedroht ist? Informiere dich und hilf weiter: Bayern gegen Gewalt
Transkript anzeigen
: Unbekannt Da denk ich viel darüber nach, ob es anders wäre, wenn ich nicht selber aus Äthiopien käme. Eben die Tatsache zu wissen, was meine Eltern auf sich genommen haben, um meinen Geschwistern mehr zu ermöglichen, unter welchen Bedingungen sie selber aufgewachsen sind. Das alles zu sehen und auch die Begegnungen, die ich hatte, mit Frauen, mit kleinen jungen Mädchen. Und ich wusste, das hätte ich sein können.
00:00:26: Unbekannt Bayern gemeinsam stark. Der Podcast mit Menschen, die uns inspirieren.
00:00:45: Unbekannt
00:01:05: Unbekannt Herzlich willkommen zu Bayern. Gemeinsam. Stark. Heute wieder mit mir, Lena Prieger Und in diesem Podcast sprechen wir ja mit Menschen aus Bayern. Menschen, die Bayern ausmachen. Die Bayern bewegen und inspirieren. Und heute darf ich bei mir begrüßen: Model und Sozial Unternehmerin Sarah Nuru. Herzlich willkommen! Hi! Vielen Dank für die Einladung. Schön, dass du da bist. Wir freuen uns sehr.
00:01:27: Unbekannt Müssen aber vorab eine Triggerwarnung aussprechen. Denn in dieser Folge sprechen wir unter anderem auch über Gewalt gegen Frauen, insbesondere über weibliche Genitalverstümmelung. Wer sich mit dem Thema also nicht wohlfühlt, der sollte die entsprechenden Stellen skippen oder einfach eine andere Folge unseres Podcasts hören. Und jetzt schon ein Tipp: Sollte euch oder euer Umfeld das Thema betreffen und ihr sucht Hilfe:
00:01:49: Unbekannt Hilfsangebote für Betroffene findet ihr in den Shownotes. Sarah, zu Beginn stellen wir unsere Gäste immer kurz vor. Das würde ich auch bei dir machen. Sarah Nuru wird 1989 in Erding geboren und kommt direkt mit Foto in die Zeitung, weil sie nämlich das erste schwarze Baby ist, das dort auf die Welt kommt. Ihre Eltern waren aus Äthiopien nach Deutschland eingewandert und Sarah wächst mit drei weiteren Schwestern auf.
00:02:13: Unbekannt Im Jahr 2009 gewinnt sie mit 19 Jahren als erste schwarze Frau die Castingshow Germany's Next Topmodel. In den folgenden Jahren arbeitet sie international erfolgreich als Model, bis sich ihr Fokus immer mehr verändert. Als Botschafterin für die Organisation "Menschen für Menschen" reist sie immer wieder in die Heimat ihrer Eltern. Und in ihr wächst der Wunsch, etwas Sinnstiftendes zu tun.
00:02:35: Unbekannt 2017 gründet sie gemeinsam mit ihrer älteren Schwester Sali das Sozialunternehmen Nuru Coffee und den Verein nuruwomen, der Frauen mit Krediten unterstützt. Im Jahr 2019 erscheint ihre Biografie "Roots", in der sie diesen Weg beschreibt. Sara Nuru lebt mit ihrem Mann und zwei kleinen Töchtern in der Schweiz. Ja, das stimmt. Aber zu Beginn möchte ich dir gern ein paar kurze Fragen stellen mit der Bitte um eine kurze Antwort, wenn's geht, bevor wir richtig ins Gespräch einsteigen.
00:03:03: Unbekannt Und zwar heißt dieser Podcast ja Bayern gemeinsam stark. Deswegen meine Frage Was bedeutet Bayern für dich? Für mich bedeutet Bayern in erster Linie Heimat. Achso, ich soll mich kurz halten. Heimat ist ursprünglich irgendwie so uriges, gutes, deftiges Essen und wenn ich an Bayern denke, denke ich an meine Familie. Wo erlebst du Gemeinschaft und welchen Wert hat sie für dich?
00:03:33: Unbekannt Gemeinschaft erlebe ich stark, wenn ich mit meinen Geschwistern zusammen bin. Meinen Eltern. Immer, sobald ich irgendwie Münchner Boden betrete, habe ich das Gefühl von Gemeinschaft, weil ich jede Straße kenne. Ich habe lange in Berlin gewohnt, jetzt in Zürich. Also dieses Heimatgefühl, ein Gemeinschaftsgefühl, das kommt. Aber das dauert immer so ein bisschen. Und sobald ich in München bin, habe ich das Gefühl sofort. Und das bedeutet für mich Zugehörigkeit, Wärme, Familie.
00:04:03: Unbekannt Was ist deine Stärke? Was können Menschen von dir, von Sara Nuru vielleicht lernen? Oh, gute Frage. Ähm, ich habe das Gefühl, dass ich unvoreingenommen bin. Das ist eine gute Stärke, wie ich finde. Gerade in Zeiten, in der wir gerade auch leben, die sehr gespalten ist, sehr voreingenommen ist. Da ist das eigentlich eine gute Tugend. Und ich meine, dass ich eine gewisse Leichtigkeit habe.
00:04:33: Unbekannt Da arbeite ich stark daran, auch jetzt mit zwei kleinen Kindern. Nicht immer einfach. Unvoreingenommen sein und eine Leichtigkeit. Schön! Sara, Du bist in Erding und in München aufgewachsen. Das hast du gerade schon gesagt. Gibt es etwas aus Bayern oder aus München, das du in der Schweiz vermisst? Irgendwas, was du direkt machen oder essen muss, zum Beispiel, wenn du wieder hier bist?
00:04:53: Unbekannt Ja, es gibt zwei Sachen, ganz klar: Spezi. Das gibt es einfach nicht. Ich versteh's nicht. Das Getränk gibts nicht in der Schweiz. Auch wenn ich das mal so bestelle: Kann ich ein Spezi haben? Was? Cola mit Limo? Das ist etwas. Und auch Brezn. Also eine gute, richtig bayerische Breze. Das ist es auch was sehr besonderes. Aber man merkt, immer assoziiert mit Essen, typisch bayrisch.
00:05:24: Unbekannt Ja, und aber auch typisch äthiopisch. Deine Eltern sind ja aus Äthiopien eingewandert, nacheinander nach Deutschland. Es war eine wirklich schwere Zeit und eine komplizierte Zeit, bis deine ganze Familie hier in Deutschland war. War ein schwieriger Weg für beide und sie sind ihn gegangen. Im Großen und Ganzen für die Zukunft ihrer Töchter. Für euch. Was hat deine Eltern besonders geholfen, hier anzukommen?
00:05:52: Unbekannt Was hat ihnen die Integration damals erleichtert, als sie nach Bayern gekommen sind? Ich denke, ganz stark war die Offenheit meiner Mutter. Sie ist, obwohl sie weder die Sprache sprechen konnte, Deutsch, natürlich nicht, aber auch kein Englisch. Und in dem 200 Seelen Dorf in Grönbach, noch ein Vorort von Erding, angekommen, ist wirklich offen auf die Menschen zugegangen. Obwohl die Angst vor ihr hatten, vor der schwarzen Frau, alleine, ohne Mann mit zwei kleinen Kindern, hat sie sich nicht beirren lassen und hat begonnen, die äthiopische Kaffeezeremonie zu starten.
00:06:31: Unbekannt Sie hatte, als sie nach Deutschland kam, nur ein Koffer dabei, mit Kinderkleidung und Utensilien für eine äthiopische Kaffeezeremonie. Das heißt grüne Bohnen, kleine Tassen und so einen Tonkrug, wo man den äthiopischen Kaffee aufbrüht. Und hat begonnen auf offener Straße, eigentlich vorm Pfarrhaus, in dem sie lebte. Also wirklich grüne Bohnen auf offenem Feuer zu rösten und die Zeremonie zu starten.
00:06:59: Unbekannt Und nach und nach sind die neugierigen Nachbarn dazugestoßen, die anfangs hinter ihrem Rücken über sie gesprochen haben. Die dann nach und nach mit ihr gesprochen haben und erfahren wollten, warum sie hier ist und warum ihr Mann nicht da ist. Und das war ein Icebreaker. Und diese Offenheit, trotz den Widrigkeiten, immer mittwochs diese Zeremonie fortzuführen, glaube ich, war eine große Stärke.
00:07:25: Unbekannt Und aber auch, dass sie, obwohl sie nicht katholisch war, ist sie trotzdem immer mit in die Kirche gegangen sonntags. Hat sich eingebracht, wo sie konnte und dass das war eine sehr große Hilfe. Aber auch eben die Umgebung, die Menschen, die, nachdem sie sie kennengelernt haben, dann auch wirklich bereit waren, sie zu unterstützen, zu helfen. Was dazu geführt hat, dass später dann sogar mein Vater geholt worden ist durch die Unterstützung von heute
00:07:53: Unbekannt engen Familienmitglieder, Werner und Hilde, die meine Mutter aufgenommen hatten, meine zwei Schwestern und später quasi meinen Vater nach Deutschland geholt haben. Unter abenteuerlichen, tatsächlich abenteuerlichen Umständen. Ja, du schreibst es in deiner Biografie. Es ist wirklich Wahnsinn, was dein Vater auf sich genommen hat, um dann dazu zu kommen und das war wirklich ein langer Weg, bis deine Eltern wieder gemeinsam mit ihren Kindern hier in Bayern sein konnten.
00:08:24: Unbekannt Und dann bist irgendwann du dazugekommen. Und diese Kaffeezeremonien, die deine Mutter von Anfang an eigentlich veranstaltet hat, die sind ja irgendwie auch der Grund für deinen engen Bezug zu Kaffee. Da werden wir gleich noch drüber sprechen, denn Kaffee hat in Äthiopien eine ganz besondere Bedeutung und Äthiopien ist das Heimatland des Kaffees. Ich würde vorher gerne kurz über das reden, warum viele Leute deinen Namen erst einmal kennen oder auch dein Gesicht, nämlich Germany's Next Topmodel.
00:08:56: Unbekannt Das war 2009 ein riesengroßer Einschnitt. Es war die vierte Staffel von Germany's Next Topmodel. Es war ein riesen Hype um diese Sendung damals. Ich glaube, diese Staffel war auch die quotenstärkste aller Staffeln. Ja, das stimmt. Und du hast da mitgemacht und hast nicht nur mitgemacht, sondern hast gewonnen. Und damit hat sich dein Leben natürlich komplett verändert. Vielleicht kannst du kurz beschreiben, von wo du kamst und was dann auf einmal dein Alltag und deine Realität war.
00:09:22: Unbekannt Also, ich bin mit eigentlich recht einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Also ich war, bevor ich bei der Sendung teilgenommen habe, noch nie alleine irgendwie im Ausland, sondern immer mit der Familie. Ich glaube einmal Griechenland und in Paris. Und plötzlich habe ich die Welt bereisen dürfen mit der Sendung und mein damaliger Freund hatte mich da angemeldet, ohne dass ich eigentlich davon wusste.
00:09:49: Unbekannt Ich war immer ganz skeptisch zu Beginn, weil ich gedacht war, die wissen von vornherein, wen sie wollen. Es ist eine Castingsendung. Aber als ich dann da mittendrin war, fand ich das natürlich ganz aufregend. Und weil das alles so neu war und auch das Modeln an sich. Ich kannte das ja nicht, wusste nicht, was es wirklich bedeutet, aber für mich war das immer ein Ticket in die weite Welt.
00:10:09: Unbekannt Und so war es dann auch. Als ich dann gewonnen habe, war ich wirklich nur noch in Flugzeugen, bin sehr komfortabel geflogen, habe sehr viel Geld verdient. In sehr kurzer Zeit, mit vermeintlich wenig Aufwand im Vergleich zu dem, was ich gewohnt bin, wie meine Eltern arbeiten mussten, mein Umfeld. Das war alles sehr aufregend und auch schön - bis zu einer gewissen Zeit. Nach einer Zeit wiederholt sich auch vieles.
00:10:38: Unbekannt Aber ich glaube, was so der Schlüsselmoment für mich war, was dazu geführt, dass ich das alles hinterfragt habe, war die Tatsache, dass ich zeitgleich zu meinem Sieg - ich habe im Mai gewonnen. Im September, also wenige Monate später, habe ich die Möglichkeit bekommen, mit der Entwicklungsorganisation "Menschen für Menschen" nach Äthiopien zu reisen, ins Land meiner Eltern, wo ich vorher erst einmal war und das als kleines Kind. Und im Auftrag dieser Organisation, mich sozial einzusetzen.
00:11:07: Unbekannt Und das war so einschneidend. Also in dem Sinne einschneidend, weil ich plötzlich über den Tellerrand blicken konnte, ich gesehen habe, was es bedeutet, wie Menschen am Existenzminimum leben und auch diese riesen Schere zwischen Arm und Reich. Aber auch das Leben, das ich zu dem Zeitpunkt gelebt habe, was ja schon sehr außergewöhnlich war für jeden eigentlich, auch für die, die im Westen aufgewachsen sind und geboren wurden.
00:11:33: Unbekannt Aber im Vergleich zu den Menschen, die wirklich mit nichts aufwachsen und zurechtkommen müssen, war das noch mal viel einschneidender. Und dass hat dazu geführt, dass ich die andere Welt, diese vermeintlich glamouröse, schöne, reiche Welt hinterfragt habe. Und ich glaube, hätte ich diese Reise und diese Erfahrung nicht gemacht, so zeitgleich, hätte ich das alles gar nie hinterfragt, sondern hätte das einfach mitgemacht und gelebt und so hingenommen.
00:12:01: Unbekannt Und jetzt im Nachhinein ist es das Beste, was mir passieren konnte. Weil ich sonst heute niemals das machen würde, was ich mit nurucoffee, nuruwomen tun darf. Ja, du hast irgendwann diesen ganzen absurden Luxus, diese Welt, die auf Äußerlichkeiten beruht und in der es um Äußerlichkeiten geht - Mode, Fashion, Geld, Reisen - du hast es irgendwann nur noch schwer ausgehalten, nachdem du dich immer mehr mit Äthiopien beschäftigt hast. Mit der Art, wie die Menschen dort leben müssen.
00:12:32: Unbekannt Dass dort reines Trinkwasser schon ein Luxusgut ist. Im Hinterkopf immer: Deshalb sind deine Eltern von dort weggegangen, um dir und deinen Geschwistern ein Aufwachsen in Sicherheit und mit Bildungschancen zu ermöglichen. Das war dann einfach für dich irgendwann nicht mehr wirklich zu ertragen. Absolut. Ich glaube - und da denke ich viel darüber nach - ob es anders wäre, wenn ich nicht selber aus Äthiopien käme.
00:12:58: Unbekannt Eben die Tatsache zu wissen, was meine Eltern auf sich genommen haben, um meinen Geschwistern und mir zu ermöglichen, unter welchen Bedingungen sie selber aufgewachsen sind. Das alles zu sehen. Und auch die Begegnungen, die ich hatte, mit Frauen, mit kleinen jungen Mädchen Und ich wusste, das hätte ich sein können. Das hat, glaube ich, sehr viel auch einen Einfluss, dass ich das alles hinterfragt habe und nicht mehr ertragen konnte.
00:13:23: Unbekannt Du beschreibst das alles sehr, sehr intensiv und auch sehr offen in deiner Biografie von 2019. Und auch diesen Übergang dazu, wie es dann 2017 zur Gründung von eurem Sozialunternehmen kam, nurucoffee. Und kurz darauf auch die Hilfsorganisationen nuru Women e.V.. Was genau macht ihr? Wir wollten eine Alternative zum herkömmlichen Spendenmodell schaffen. Also weg von dem Gedanken der ewig armen Afrikanerinnen, die das Geld des Westens brauchen und auf Spenden angewiesen sind, hin zu der Vielfalt und Schönheit des Landes und das durch wirtschaftliches Handeln zu tun.
00:14:05: Unbekannt Indem wir Kaffee verkaufen, das größte Exportgut des Landes Äthiopiens. Und auch, wie du eingangs gesagt hast, das Ursprungsland des Kaffees. In dem wir eben nicht nur fair produzierten Kaffee verkaufen und Arbeitsplätze generieren, sondern aus den Verkäufen, aus den Gewinnen quasi wieder reinvestieren in Frauenprojekte. Speziell für Frauen, die keinen Zugang zum Kaffeehandel haben, geben wir mit dem Verkauf des Kaffees Mikrokredite, Trainingskurse, Schulungen, aber auch Mikrokredite.
00:14:38: Unbekannt Eine Starthilfe, um sich was Eigenes aufbauen zu können, sich auch ein eigenes Business zu generieren und so Einkommen zu generieren. Und seit ein, zwei Jahren haben wir unsere Arbeit erweitert mit einem Mutter-Kind-Projekt, wo wir speziell gegen die Müttersterblichkeitsrate arbeiten und da Mütter und Neugeborene unterstützen. Jetzt ist es so: Ihr gibt diese Mikrokredite speziell gezielt an Frauen.
00:15:05: Unbekannt Warum an Frauen? Und wie ist grundsätzlich das weibliche Rollenbild in Äthiopien? Es ist oft so, dass Frauen in Äthiopien überhaupt keine Kredite bekommen, sie werden nicht als kreditwürdig angesehen. Sie sind wie in vielen anderen Ländern natürlich auch, sehr abhängig von ihren Männern. Und deswegen haben wir gesagt, dass wir speziell Frauen einen Kredit geben möchten, die normalerweise auf dem freien Markt eben keinen bekämen.
00:15:35: Unbekannt Gleichzeitig ist es so, dass Frauen auch viel besser mit Geld wirtschaften, gerade in ländlichen Bereichen wie Äthiopien. Es ist ganz oft so, dass wir in Äthiopien sitzen und wir neue Projekte anstoßen wollen und zwar mit mit der Community zusammen. Und dann werden mir genau diese gleiche Frage gestellt, speziell von Männern: Warum? Wenn es um Gleichberechtigung geht, warum nur Frauen, nicht wir?
00:15:59: Unbekannt Und dann wird ganz oft aus den eigenen Reihen von den Männern das Wort übernommen und gesagt: Naja, weil sie eben viel besser mit dem Geld wirtschaften und gucken, dass die Kinder versorgt sind, dass genug Geld für Lebensmittel übrigbleibt und dann noch Restgeld zur Verfügung steht. Und es hat natürlich auch damit zu tun, dass ich selbst oder meine Schwestern ich in einem Haushalt aufgewachsen sind und uns das Thema Frauen und auch die Selbstermächtigung von Frauen so am Herzen liegt, dass wir uns das zur Aufgabe gemacht haben. Und da auch ein Stückchen etwas zurückzugeben, was wir auch bekommen haben.
00:16:37: Unbekannt Wir haben das Glück, in Deutschland geboren zu sein, hier aufgewachsen zu sein, selbstermächtigt, selbstbestimmt handeln zu können. Und wir eben Frauen das auch ermöglichen wollen mit unserer Arbeit. Und uns deswegen dafür entschieden haben. Grundsätzlich dieses Instrument der Mikrokredite, das habt nicht ihr erfunden. Ich glaube, Muhammad Yunus hat dafür den Friedensnobelpreis bekommen. Weil es einfach wirklich um minimale Beträge geht.
00:17:04: Unbekannt Das kann man sich heute gar nicht vorstellen. Es geht wirklich um Kleinstbeträge, und die Frauen sind in der Lage, daraus wirklich eine Existenz aufzubauen. Das verändert ja auch dann sozusagen ihre Rolle in der Familie und in der Gesellschaft. Absolut. Bei uns konkret liegt ein Kredit zwischen 250 und 350 €. Das ist nicht so lebensverändern für uns wie tatsächlich für die Frauen vor Ort.
00:17:26: Unbekannt Mit dem Wechselkurs sind es mehrere 1000 äthiopische Birr. Und es ist nicht nur eine finanzielle Unabhängigkeit oder eine Starthilfe, sondern es macht auch zwischenmenschlich ganz viel aus. Plötzlich ist der Mann nicht mehr der alleinige Versorger der Familie, der die Last der der Familie auf seinen Schultern trägt, sondern es ist aufgeteilt auf mehrere Schultern. Plötzlich ist die Frau auch gleichwertig, weil sie ihr eigenes Geld verdient. Dem Mann auch gegebenenfalls die Stirn bieten kann, weil sie jederzeit auch gehen kann, weil sie nicht abhängig ist und auch keine Gewalt ertragen muss wie sonst, weil sie eben nicht woanders hin kann.
00:18:08: Unbekannt Und gleichzeitig auch für ihre Kinder ein Vorbild, weil sie auf eigenen Beinen steht. Und es macht auch psychologisch gesehen sehr viel aus, dass es keine Spende ist, sondern dass sie das - indem sie es zurückzahlen - wirklich aus eigener Kraft heraus sich ihren Wohlstand erarbeitet haben, ihnen noch viel mehr Selbstbewusstsein gibt. Und das ist eine sehr schöne Entwicklung und auch schön zu sehen.
00:18:34: Unbekannt Jetzt hast du gerade schon Gewalt gegen Frauen angesprochen. Auch in Äthiopien gibt es die Praxis der weiblichen Genitalbeschneidung, eine sehr spezielle Form der Gewalt. Hattest du Begegnungen? Denn wir wollen über dieses Thema gleich noch ein bisschen intensiver sprechen. Gerade im Bereich Gesundheit für Mutter und Kind. Da geht es ja auch um Geburten, da geht es auch um manchmal lebensgefährliche Geburten
00:18:57: Unbekannt nach so einer Beschneidung. Hast du Begegnungen mit Frauen, die davon betroffen sind über deine Arbeit? In deinem Buch zum Beispiel beschreibst du eine Beschneiderin. Ja, also es ist tatsächlich so, dass wir immer wieder Begegnungen haben mit Frauen, die betroffen sind. Sowohl auf beiden Seiten, die quasi das verursachen, wie die Beschneiderin, aber auch die, die betroffen sind.
00:19:22: Unbekannt Aber oftmals sind auch die Beschneiderin, die diese gewalttätige, grausame Körperverletzungen verursachen, selbst auch Opfer. Und der Meinung, dass sie eigentlich was Gutes tun. Oftmals ist es fehlende Bildung, aber auch gesellschaftliche Rolle. Oftmals sind sie der Meinung, dass die Frauen, die nicht beschnitten sind, nicht ehrenwürdig sind, nicht rein sind. Und sie eigentlich was für die Gesellschaft tun, in dem sie die jungen Mädchen und Frauen beschneiden und sie sind sich ihrer Tat gar nicht bewusst.
00:19:58: Unbekannt Erst nach Aufklärungen und auch natürlich, nachdem sie auch die Folgen sehen, was sie damit verursachen. Es ist so, dass viele Frauen sich schämen, nicht darüber sprechen. Es ist nicht so, dass man sich sieht und dann wird gleich drüber gesprochen. Weil es so ein sensibles Thema ist. Sondern es braucht mehrere Begegnungen. Es braucht Vertrauen, es braucht Zeit und erst mit der Zeit öffnen sie sich.
00:20:19: Unbekannt Und mit unserem Mutter-Kind-Projekt haben wir viel schnelleren Zugang dazu, weil wir oft mit Frauen zu tun haben, die unter Folgeproblemen leiden. Sie haben Fisteln, Komplikationen aufgrund der Beschneidungen, wenn der Geburtskanal verengt wird und dadurch dann die ganzen inneren Organe verschoben werden, sie auch Ausgrenzung erleben. So viele Komplikationen während der Geburt, unter der Geburt. Und das ist ein Thema, mit dem wir erst jetzt seit ein, zwei Jahren immer häufiger wirklich intensiv in Berührung kommen. Damit wir einmal einfach genau sagen, worum es geht bei der weiblichen Genitalbeschneidung oder auch Verstümmelung.
00:21:01: Unbekannt Ich werde auch gleich erklären, warum man welchen Begriff benutzt. Grundsätzlich geht es bei der Beschneidung von Frauen darum, dass die äußeren Geschlechtsorgane von Mädchen und Frauen abgetrennt oder verletzt werden. Ganz oft geschieht das ohne Betäubung, mit nicht sterilem, nicht medizinischem Besteck, also mit Rasierklingen, mit Messern oder Glasscherben. Und auch von nicht medizinischem Personal. Es sind oft traditionelle Beschneiderinnen, wie du sie auch im Buch beschreibst.
00:21:27: Unbekannt Wichtig ist zu wissen: Es gibt für diesen Eingriff keinerlei medizinischen Grund. Es gibt keinen rationalen Grund, sondern der Grund ist immer die Unterdrückung der Frau, vor allem die Unterdrückung der Sexualität der Frau. Man muss wissen, grundsätzlich bei dieser Praxis, man unterscheidet verschiedene Typen der Beschneidung. Der Typ eins bedeutet die Klitoris wird ganz oder teilweise entfernt. Bei Typ zwei wird die Klitoris und die kleinen, manchmal sogar die großen Schamlippen ganz oder teilweise entfernt.
00:21:59: Unbekannt Der Typ drei ist der, wo es dann tatsächlich auch später zu ganz großen Schwierigkeiten kommt, weil die äußeren Schamlippen ganz oder teilweise entfernt werden. Und dann werden die Wundränder miteinander vernäht, um die Vagina zu verschließen. Und dabei wird dann oft nur eine winzige Öffnung freigelassen. Das heißt also Scheidenflüssigkeit, Urin, Blut muss durch diese winzige Öffnung, die oft während der Heilung durch einen Ast geöffnet bleibt, bis es verheilt ist. Das muss dann dadurch abfließen.
00:22:29: Unbekannt Und das führt natürlich zu ganz großen medizinischen Problemen. Tatsächlich ist es so, dass dann auch bei der Entjungferung oder für die Geburt diese Vernarbungen wieder aufgetrennt werden müssen. Und der Typ vier da werden die Genitalien auf andere Weise verletzt oder verstümmelt, zum Beispiel durchstochen oder abgeschabt, verbrannt oder verätzt. Du hast jetzt gerade schon gesagt, Begründungen sind oft, die Frau sei nicht ehrbar.
00:22:57: Unbekannt Es wird auch oft übersetzt in "eine Frau saubermachen" oder "reinmachen". Es gibt auch Mythen wie, dass eine Amputation die Fruchtbarkeit fördern würde, genau das Gegenteil ist in Wirklichkeit der Fall. Für manche entspricht es auch einfach dem Schönheitsideal. Und ja, man muss sagen, es werden oft religiöse Gründe angegeben, aber keine Weltreligion schreibt die Beschneidung weiblicher Genitalien vor.
00:23:24: Unbekannt Es ist einfach nicht so, dass es eine wirkliche religiöse Begründung dafür geben würde. Und was man vielleicht auch noch sagen muss: Eine der Begründungen ist auch, der Frau das sexuelle Lustempfinden komplett zu nehmen, um sie treu zu machen. Also diese Idee der Ehrbarkeit ist, dass die Frau eben beim Sex einfach keine Lust mehr empfinden kann und deshalb sie nicht gefährdet ist, dem Mann fremd zu gehen.
00:23:48: Unbekannt Jetzt könnte man denken: Gut, das ist ein Problem, das hauptsächlich in afrikanischen, asiatischen Ländern oder im Nahen Osten besteht. Das ist aber nicht der Fall, Denn grundsätzlich ist Gewalt gegen Frauen kein Problem, das nur in anderen Ländern bestünde, sondern das Problem haben wir auch hier bei uns in Deutschland, in Bayern. Und auch das Problem der weiblichen Genitalbeschneidung ist ein Problem, das uns hier in Bayern und in Deutschland betrifft.
00:24:13: Unbekannt Denn durch Einwanderung, durch Flucht sind auch Frauen in Bayern betroffen. Man geht davon aus, dass es mehr als 70.000 Frauen sind, die in Deutschland davon betroffen sind und mindestens 15.000 bis 20.000 Mädchen gefährdet sind, bedroht sind. Zahlen zu ermitteln ist sehr, sehr schwierig, weil die Dunkelziffer einfach sehr, sehr hoch ist. Wie du es gerade gesagt hast, ist es ein großes Tabuthema.
00:24:36: Unbekannt Aber es ist wichtig, dass auch wir uns damit beschäftigen hier. Die Frauen stammen ganz häufig aus afrikanischen, asiatischen Ländern des Nahen Ostens. Es gibt aber auch und das ist ganz wichtig zu erwähnen, jede Menge afrikanische Länder, in denen diese Beschneidung nicht praktiziert wird. Man darf da auf gar keinen Fall verallgemeinern. Aber Äthiopien ist eines der Länder, wo man von einer Rate von 65 % ausgeht.
00:25:00: Unbekannt Das ist unglaublich. Hättest du das gedacht, nachdem du ja mit vielen Frauen vor Ort Kontakt hast, dass es wirklich so viele Frauen sind, die betroffen sind? Dass es 65 % sind tatsächlich nicht - und das erschreckt mich enorm. Zumal es auch gesetzlich verboten ist. Und deshalb noch umso schlimmer ist. Aber wie du schon gesagt hast, die Dunkelziffer ist wahrscheinlich noch höher.
00:25:26: Unbekannt Das Problem ist die Unterdrückung der Frauen und auch die Stellung der Frauen. Und deswegen glauben wir auch so fest daran, dass wenn wir die Frauen unterstützen, unterstützt man die ganze Gesellschaft und auch die Familien und dass es wichtig ist, dass sie unabhängig sind, auch finanziell unabhängig sind. Dann können die Mütter auch auf ihre Kinder einwirken.
00:25:46: Unbekannt Ich glaube, ganz oft möchten die Mütter nicht, dass ihren Kindern das Gleiche widerfährt wie ihnen selber und dass sie diesen Schmerz erleben müssen. Aber sie so in Abhängigkeit sind. Nicht nur finanziell, aber auch gesellschaftlich, auch familiär. Oftmals entsteht ja der Druck auch von den Großeltern, weil sie eben Sorge haben, dass ihre Töchter nicht ehrbar sind und somit die Zukunft nicht gesichert ist.
00:26:14: Unbekannt Und das ist wie so ein Teufelskreis, der unterbrochen werden muss. Und ja, 65 % ist heftig. Ja. Es gibt Länder, in denen ist die Rate tatsächlich noch höher. Und es wird auch in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Die Art, wie es praktiziert wird. Es gibt zum Beispiel in Ägypten unglaublich hohe Zahlen. Dort ist es aber ein Eingriff, der von Ärztinnen und Ärzten gemacht wird, der gesundheitlich nicht mehr so gefährlich ist, nicht mehr lebensgefährlich ist.
00:26:41: Unbekannt Deswegen gab es da auch einen Imagewandel und deswegen gibt es wieder mehr Frauen tatsächlich, die dort zum Arzt, der Ärztin gehen und das machen lassen. Grundsätzlich muss man aber sagen Es bleibt eben immer tatsächlich eine Amputation. Es wird ein gesundes Organ geschädigt. Wir sprechen jetzt hier hauptsächlich von der Genitalbeschneidung. Es ist so, dass viele betroffene Frauen den Begriff Verstümmelung ablehnen, weil sie nicht als versehrt oder verstümmelt angesehen werden möchten.
00:27:11: Unbekannt Deswegen spricht man aus Respekt gegenüber Betroffenen eben von Beschneidung. Tatsächlich muss man sagen, faktisch ist es eine Verstümmelung, eine Amputation, eine Entfernung gesunder Körperteile. International haben sich die Abkürzung FGM für Female Genital Mutilation oder FC für Female Cutting etabliert. Also FGM ist etwas, was man international versteht, denn tatsächlich ist es ja ein internationales Thema. Wie du es gerade schon gesagt hast, in den allermeisten afrikanischen Ländern ist es tatsächlich verboten.
00:27:43: Unbekannt Es wird eben nur die Verfolgung dieses Verbrechens, denn es ist ein Verbrechen, es ist eine Menschenrechtsverletzung. Die wird ganz unterschiedlich gehandhabt. Und tatsächlich sind eben kulturelle Traditionen und die Community hier oft das Problem. Es ist so: 200 Millionen Frauen und Mädchen weltweit sind betroffen. 200 Millionen. Also es ist wirklich eine riesen Zahl. Es gibt da noch unglaublich viel zu tun. Und das, was wir hier vor Ort tun können in Deutschland.
00:28:13: Unbekannt Denn eine ganz große Gefahr sind die sogenannten Ferien-Beschneidungen. Das ist, wenn Mädchen dann, wenn sie in die Pubertät kommen, meistens in ihr Heimatland reisen und dann vor Ort die Familie dazu gedrängt wird, das Mädchen beschneiden zu lassen. Das passiert tatsächlich relativ häufig. Deswegen ist es ganz wichtig, auch zu sagen: Es gibt gute Hilfsangebote bei uns.
00:28:38: Unbekannt Ein ganz, ganz wichtiges Instrument ist der Schutzbrief gegen weibliche Genitalverstümmelung. Das ist ein Brief für diese bedrohten Mädchen und ihre Familien. Die gibt es auf Deutsch und in 15 weiteren Sprachen. Der klärt darüber auf, dass es in Deutschland eine Straftat ist. Dass auch, wenn es ist im Ausland durchgeführt wird, es hier bei uns in Deutschland strafbar ist. Und den sollen die Mädchen in ihrem Reisepass tragen, wenn sie in ihr Heimatland reisen, um sie davor zu bewahren und auch dem gesellschaftlichen und familiären Druck etwas entgegensetzen zu können.
00:29:14: Unbekannt Du kooperierst mit dem bayerischen Sozialministerium in diesem Bereich. Es gibt Instagram-Posts von dir zu diesem Thema. Vielleicht kannst du noch mal sagen, was dir wichtig ist daran. Dadurch, dass ich die Berührung durch die Arbeit mit nuruwoman bereits hatte - aber dass war tatsächlich für mich immer so ein Thema, so weit weg, also im Sinne ein Problem Äthiopiens war - war ich so erschrocken darüber, auch die Zahlen hier in Deutschland zu erfahren.
00:29:42: Unbekannt Und auch, dass eben die Praxis, dass dieses Verbrechen auch hier durchgeführt wird. Und als das Ministerin auf mich zugekommen ist, ich selbstverständlich Teil davon sein wollte, darüber aufmerksam zu machen. Und gerade auch die Idee, das über die sozialen Netzwerke zu machen, um junge Menschen, junge Frauen und auch ihre Familien zu erreichen, fand ich mehr als sinnvoll. Und hoffe, dass möglichst viele diesen Aufruf auch folgen, dass sie das auch anwenden, weil ich glaube, es ist vielen auch gar nicht bewusst.
00:30:12: Unbekannt Mir selber war gar nicht bewusst, dass es dieses Angebot gibt, dass das Ministerium diese Anlaufstellen hat. Auf jeden Fall bayernweit extrem viele Anlaufstellen. Und ich das so wichtig finde, das zu teilen. Die, die betroffen sind, darüber aufzuklären und auch einen Zugang zu geben. Ich glaube, je mehr Menschen, junge Frauen und auch die Familien das wissen, umso mehr wird das in Anspruch genommen.
00:30:36: Unbekannt Und auch zu wissen, dass sie nicht alleine sind, dass ihnen zugehört wird, dass bei ihnen auch ein Verständnis darüber da ist, was ihnen widerfahren könnte oder widerfahren ist. Es ist ja nicht nur für Bedrohte, sondern auch für bereits Betroffene gibt es Anlaufstellen und Beratungsstellen. Und ich freue mich über die Zusammenarbeit und hoffe, dass viele, viele Familien, vor allem junge Frauen, das auch in Anspruch nehmen.
00:31:02: Unbekannt Es gibt wirklich niedrigschwellige Anlaufstellen, also auf der Website Bayern-gegen-Gewalt.de. Die verlinken wir in den Shownotes. Da kann man nach Hilfe für bestimmte Gewaltformen suchen und findet dann eben zu diesem Thema auch das Bayerische Beratungs- und Präventionsnetzwerk im Bereich weibliche Genitalbeschneidung. Da kann man ganz gezielt wirklich Hilfe in seiner Nähe suchen. Was ganz wichtig ist: Es gibt Sprach- und Kulturmittlerinnen, die in verschiedenen Sprachen - auch äthiopische Sprach- und Kulturmittlerinnen sind dabei, die Mädchen und Frauen begleiten, zum Beispiel zum Arzt begleiten, übersetzen, mit zu Behörden gehen.
00:31:41: Unbekannt Und das bayerische Sozialministerium hat seit Februar 2021 ein Netzwerk von verschiedenen Pilotprojekten gestartet, die auch Fachkräfte fortbilden, was ganz wichtig ist. Also alle, die Kontakt haben zu Mädchen, die gefährdet sein könnten, dass eben Menschen geschult werden, hinzusehen und aufmerksam zu sein und Frauen eben einfach und niedrigschwellig die Möglichkeit haben, sich Hilfe zu suchen. Denn es ist ein Tabuthema.
00:32:09: Unbekannt Ganz klar. Es ist auch, was die was die lebenslangen Folgen angeht -abgesehen davon, dass man schätzt, dass ungefähr 1/4 der Frauen insgesamt, die betroffen sind, irgendwann an den unmittelbaren oder Spätfolgen stirbt, Weil es zu Infektionen kommt, es zu Infektionen mit HIV auch kommen kann, zum Beispiel die Blutungen natürlich hinterher auch bei der Menstruation oder auch dann spätestens bei der Geburt riesengroße Probleme auftreten können.
00:32:41: Unbekannt Lebenslang Schmerzen, lebenslang keinen Sport machen. Aber natürlich auch die psychologischen Folgen. Das unterschätzt man immer. Denn es sind ja ganz oft - ich weiß nicht, ob du da Geschichten kennst - Mütter, Großmütter, die die Kinder übergeben zum Beschneiden. Und das ist natürlich dann ein riesengroßer Vertrauensverlust für die Mädchen. Manchmal ist das schon im Säuglingsalter der Fall.
00:33:07: Unbekannt Es auch eben gerade so beim Übergang zur Pubertät oder aber auch dann vor der Hochzeit, dass es vor der Hochzeit gemacht wird. Ja, es ist ein Thema, das wir uns einfach anschauen müssen. Wo wir hinschauen müssen, wo uns klar sein muss: Es gibt ganz, ganz viel zu tun. Es gibt aber eben auch ganz, ganz viele Möglichkeiten, Hilfe zu finden.
00:33:27: Unbekannt Es gibt zwei ganz tolle Aufklärungsfilme, die wir auch verlinken werden zu dem Thema. Und was man auch wissen muss: Es gibt einen Hilfsfonds der bayerischen Staatsregierung für betroffene Mädchen und Frauen, die tatsächlich dann Kosten, zum Beispiel für Rekonstruktionen übernehmen. Also es gibt die Möglichkeit hinterher sich medizinisch behandeln zu lassen. Und tatsächlich immer mehr Ärzte, Ärztinnen, die spezialisiert sind darauf.
00:33:51: Unbekannt Toll. Schweres Thema, Sarah. Ja, wirklich. Aber umso wichtiger, darüber zu reden. Auch gerade die schweren Themen brauchen umso mehr Gehör und Zeit, auch darüber zu sprechen. Und sich klarzumachen: Es ist eben auch hier bei uns wichtig, was dagegen zu tun. Es geht uns ganz genauso an wie alle anderen in anderen Teilen der Welt.
00:34:15: Unbekannt Jetzt bist du Mutter von zwei kleinen Töchtern und du hast schon gesagt, du bist in einem Frauenhaushalt aufgewachsen. Grundsätzlich ist die Gemeinschaft von Frauen für dich total wichtig. Absolut. Du hast dein Sozialunternehmen mit deiner Schwester zusammen gegründet. Wie ist es jetzt heute? Ihr seid ja jetzt selbstständig und ihr seid, glaube ich, beide Mütter. Macht es das einfacher oder schwieriger?
00:34:40: Unbekannt Beides. Es ist einfacher, weil wir sind nicht fremdfinanziert. Das heißt, wir haben die komplette Kontrolle. Niemand, der uns reinredet. Und dadurch, dass meine Schwester und ich wirklich in zweieinhalb Jahren insgesamt vier Kinder auf die Welt gebracht haben, sitzen wir im selben Boot und haben Verständnis füreinander. Dass wir jetzt langsamer vorankommen, kleinere Schritte machen und nicht so extrem wachsen wie in den vergangenen Jahren zuvor.
00:35:11: Unbekannt Das macht es einfacher, weil wir eben da kein Druck von außen haben. Aber natürlich: Unser Business war jahrelang unser Baby, jetzt haben wir tatsächlich eigene Babys. Das die Prioritäten verschieben sich ein bisschen und das schlechte Gewissen. Ich stell mir es manchmal so vor, wenn man mehrere Kinder hat. Man liebt, die Liebe wird immer größer und auch die Kapazitäten werden größer.
00:35:30: Unbekannt Man kriegt das irgendwie doch hin. Aber ja, es ist schon eine Zerreißprobe und nicht einfach. Aber dadurch, dass wir zum Glück etwas Sinnstiftendes tun dürfen, machen wir es mit so viel Herzblut. Und auch, wenn es anstrengend ist und wir wenig Schlaf haben und viel Kopfzerbrechen, freuen wir uns doch jeden Tag, dass wir das machen dürfen. Und wissen ganz genau, warum wir was tun.
00:35:54: Unbekannt Wir haben beide jeweils zwei Töchter. Was wir mit unserer Arbeit unseren Kindern mitgeben, unseren Töchtern auch zeigen, wie wichtig das ist, auch das eigene Geld zu verdienen, den eigenen Träumen nachzugehen und auch seine eigenen Bedürfnisse nicht zurückstecken. Das heißt die Nuru-Familie, die Frauen in der Familie vermehren sich und es wird weiterhin weitergehen. Ich habe insgesamt drei Schwestern und wir haben sechs Enkel.
00:36:24: Unbekannt Also meine Eltern haben sechs Enkeltöchter. Es ist ein reiner Frauenhaushalt. Es ist wunderschön. Wir haben schon Sorge, der erste Sohn wird dann wie der Lion-King behandelt. Aber nein, es ist genauso richtig, wir wollen es nicht anders. Und ich bin stolz, eine Frau zu sein. Ich bin stolz, Töchter zu haben und ich hoffe, dass wir, auch wenn es ein weiter Weg ist, dass wir die Gleichstellung von Frauen und Männern doch irgendwann mal hinbekommen.
00:36:51: Unbekannt Auch wenn die Prognose sagt, es braucht über 100 Jahre, wenn wir es in dem Tempo jetzt machen. Aber deswegen ist auch eure Arbeit so wichtig und ich denke, auch die Arbeit von uns. Apropos Arbeit: Modelst du überhaupt noch? Hast du dafür noch Zeit? Sehr ausgewählt. Also ich muss sagen, seit ich Kinder habe und den ganzen Tag irgendwie gefühlt fürchterlich aussehe, freue ich mich.
00:37:16: Unbekannt Das kann ich nicht bestätigen! Ich sehe dich ja im Gegensatz zu unseren Zuhörerinnen und Zuhörern. Also das, was ich früher immer so ein bisschen nicht beachtet habe, aber was mich so genervt hat, nur eine Außenhülle zu sein. Und jetzt denke ich mir manchmal: Ach, ist aber auch schön, mal keine Verantwortung zu übernehmen. Einfach nur schön gemacht zu werden. Und beim Modeln, das ist ja nach getaner Arbeit ist die Arbeit auch vorbei.
00:37:41: Unbekannt Man hat ein Ergebnis in Form eines Fotos oder eines Werbespots oder was auch immer. Und manchmal ist es auch angenehm, gerade wenn das Leben und auch die Arbeit, der Alltag sehr endlos erscheint, etwas auch abzuschließen. Und das kann man beim Modeln eigentlich ganz gut. Und ich freue mich immer wieder, wenn ich so ein Ausflug in diese Welt mache, aber auch weiß, dass es nur ein Ausflug ist und deshalb da mit einer Leichtigkeit wieder rangehen kann.
00:38:11: Unbekannt Und dann wieder zurück zu deinen Herzensaufgaben. Ganz genau. Ich glaube, je älter ich werde, umso mehr lebe ich auch im Ausgleich mit Balance. Das eine muss das andere nicht ausschließen. Es darf auch Hand in Hand hineingehen und nicht in so Schubladen zu denken, hilft dabei sein. Das hilft grundsätzlich immer ganz gut. Nicht in Schubladen zu denken. Ganz, ganz lieben Dank, Sarah Nuru für das sehr, sehr spannende Gespräch und ich hoffe, du gehst jetzt aus dem Sozialministerium raus und holst dir erst mal eine schöne bayerische Brezel.
00:38:41: Unbekannt Das werde ich! Und ein Spezi noch dazu! Vielen Dank für die Einladung. Vielen Dank auch für die Zusammenarbeit. Ich habe sehr viel Resonanz bekommen, auch im Familienumfeld, wo mir selber gar nicht so bewusst war, wie viel ihnen das Thema auch bedeutet und wie wichtig sie die Arbeit auch sehen. Und auch von dem Angebot gar nicht wussten und das sehr zu schätzen wissen.
00:39:05: Unbekannt Vielen Dank Sarah Nuru!
00:39:26: Unbekannt Bayern gemeinsam stark Der Podcast mit Menschen, die uns inspirieren. Eine Produktion des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales. BGM016 - Sara Nuru- Master.mp3
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